So liest du klassische Yoga Texte

So liest du klassische Yoga Texte ohne Frust

So liest du klassische Yoga Texte ohne Frust

7 Strategien, um klassische Yoga Texte zu lesen und zu verstehen

Kennst du auch diese Leute, die die Bhagavad Gita, das Yoga Sutra oder einen anderen Text immer dabei haben und den Text so richtig verinnerlich haben?

Und jedes Mal wenn du in eine Übersetzung eines klassischen Texts schaust, hast du das Gefühl einfach keinen Zugang zu finden. Die Worte sprechen nicht zu dir? Du kommst nicht über das erste Kapitel hinaus?

In diesem Artikel gebe ich dir 7 Tips, wie du klassische Texte leichter lesen kannst und nicht von der unübersichtlichen Menge an Werken überfordert wirst.


Klassische Texte kann man nicht einfach wie moderne Literatur lesen, sie sind mit einer ganz anderen Absicht verfasst.

Die Autoren hatten keinen modernen Yogi vor sich, als sie ihre Texte schrieben. Sie gingen davon aus, dass ihr Wissen durch einen Guru der Linie, also in ihrer Tradition, dem Schüler vermittelt werden würde. Und nicht von einem Schüler im Selbststudium. Daher sind ihre Inhalte oft kurz, oft nur Essenzen eines umfassenden Konzepts.

Nachfolgend gebe ich dir meine 7 Strategien, wie du dennoch die Inhalte der traditionellen Texte für dich nutzen kannst.



1. Vergiss erstmal die Kommentare

Meistens gibt es zu den original Texten Kommentare oder gar einen ganzen Kommentar-Kanon. Geh erstmal nur an die Quelle und lies nur die Übersetzung des eigentlichen Textes. In den meisten Fällen steht zuerst die Sanskrit Version oder Transkribierung (Sanskrit in lateinischer Schrift) und dann eine Übersetzung. Lies nur die Übersetzung!

Das Problem mit den philosophischen Texten ist, dass sie eine Zusammenfassung darstellen. Je kürzer ein Author seine Philosophie beschreiben konnte, im Idealfall in nur einem Wort, desto versierter galt er. Für uns heißt das aber, dass wir diese Komprimierung wieder ausdehnen müssen. Wie ein ZIP File. Entgegen einem ZIP File lässt aber das Entpacken des Originaltextes viel Interpretation zu. Daher die umfangreichen Kommentare. Jeder Kommentator hat seine eigene Interpretation und Sichtweise hinzugefügt.

Wenn du den gesamten Text in der Übersetzung gelesen hast, heißt das aber nicht, dass du eine Ahnung haben musst, worum es eigentlich geht. Aber du hast das ganze Ding gelesen. Respekt!

Nimm dir jetzt eine Passage nach der anderen vor und lies den Kommentar. Vielleicht hattest du ähnliche Gedanken beim ersten Lesen. Vielleicht spricht dieser Kommentar so gar nicht zu dir und du würdest das ganz anders interpretieren. Sei einfach offen und lass es auf dich wirken.



2. Was will uns der Künstler damit sagen?

Wie eingangs schon erwähnt, hatten die Autoren eine andere Art von Schülern vor Augen als sie ihre Texte schrieben. Aber sie hatten jemanden vor Augen, sie versuchen mit dem Leser zu kommunizieren. Und das bist nun du! Sei offen für die Botschaft!

Im Zeitalter von Social Media umgeben wir uns nur allzu oft mit Autoren / Bloggern etc., die mit unserer Wahrnehmung der Realität übereinstimmen. Wir lassen uns sozusagen ständig bestätigen. Versuche die Aussage des Texts nicht so umzudeuten, dass sie deiner Realität entspricht. Lass nicht dein Ego die Deutung übernehmen. Nimm eine offene Haltung an, um die Botschaft des Autors aufzunehmen. Danach kannst du immer noch entscheiden, ob sie mit dir räsoniert.



3. Kommentare als Hilfestellung

Die Kommentare sind deshalb so wichtig, weil die Urheber meist im Kontext des Originaltextes schreiben. Die Kommentatoren sind oft Experten auf ihrem Gebiet und kennen die anderen zeitgenössischen Texte und die Umstände, in denen der Haupttext verfasst wurden. Dabei ist egal, ob es sich um Kommentatoren aus der Periode des Ursprungstextes oder um moderne Autoren handelt. 

Bei letzteren ist allerdings mehr Vorsicht geboten - ihr Text wurde noch nicht durch eine Vielzahl von Schülern an ihre eigenen Schüler weitergegeben. Nur was sich bewährt, hält der Überlieferung von Generation zu Generation stand. Das ist das Schöne an den klassischen Texten und den klassischen Kommentaren, sie haben sich bewährt.



4. Rosinen picken

Einen typischen Fehler machst du auch, wenn du einzelne Sätze aus dem Zusammenhang reißt. Die Verse oder Sutren sind meistens zu einem bestimmten Thema gruppiert und vorangehende und nachfolgende Verse sind wichtig für das Verständnis.

Manchmal stoßen wir auch auf einen Satz, der perfekt zu unserer modernen Lebenssituation oder einem modernen Dilemma passt. Wir nehmen dann gerne den Teil des Textes, der zu uns spricht und stempeln den Rest als Anachronismus ab, d.h. wir lehnen ihn ab, weil er nicht mehr in unsere heutige Zeit passt.

In diesem Fall geben wir uns aber selbst eine Autorität über den Text, die uns nicht zusteht. Wir erheben uns über die Tradition und unterbrechen die Linie der Weitergabe. Interpretation ist völlig in Ordnung, aber nicht Selektion. Man muss den ganzen Kuchen essen, nicht nur die Rosinen.

Wenn die entsprechende Textpassage nicht zu dir spricht, dann widersteh der Versuchung sie in deinem Sinne umzudeuten. Lass sie gehen, es wird eine Zeit kommen, in der die Worte für dich Sinn ergeben.



5. Meditatives Lesen

Beim Meditativen Lesen geht es nicht so sehr darum Inhalte zu verstehen, sondern die Wirkung des Textes auf uns wahrzunehmen. Die Botschaft des Texts soll nicht nur durch unseren Verstand aufgenommen werden, sondern sie soll uns als Ganzes durchwirken und in unser Bewusstsein dringen.

Bevor du anfängst zu lesen, stell dir vor, dass es eine Ehre ist diesen Text zu lesen. 

Die meisten Texte wurden früher nur Schülern vermittelt, die sich als würdig erwiesen hatten. Halte ein Gefühl von Dankbarkeit in dir. 

Lies solange, bis ein Wort oder ein Satz dich anspricht, bei dem du sozusagen hängenbleibst. Wiederhole die Passage einige Male und verinnerliche sie dir. Achte in der nächsten Zeit darauf, wie sich diese Passage in deinem Alltag immer wieder in dein Bewusstsein drängt. Was bedeutet sie für dich? Reflektiere.

Wenn ein Absatz dich anspricht, kann es trotzdem sein, dass du ihn rational gesehen nicht verstehst. Lass dich davon nicht beirren, dein Unterbewusstsein hat sich angesprochen gefühlt und du musst nicht alles mit dem Verstand erklären können. 

Klassische Yoga Texte sind wie Kunst. Deine Wertschätzung drückt sich nicht dadurch aus, dass du immer mehr davon ansiehst, sondern dass du etwas findest, was dein innerstes Selbst anspricht.

Dieser Prozess ist natürlich dynamisch und je nachdem wie du dich weiterentwickelst, so verändern sich auch die Inhalte, die mit dir räsonieren.



6. Walk the Talk

Gewisse Textstellen in den Alltag zu bringen ist die tiefste Form des Verständnisses. Es geht nicht um abstrakte Konzepte, Yoga Philosophie ist viel mehr eine Anleitung unsere Realität neu zu erleben. Was bringt Selbsterkenntnis, wenn ich sie nicht leben kann? Der Autor versucht uns durch den Text seine erlebte Selbsterkenntnis zu vermitteln. Erkenntnis als angewandtes Wissen sozusagen, denn wenn wir die Prinzipien aus dem Text zum Leben erwecken, wird das vermittelte Wissen zur eigenen Erkenntnis.

Überlege wie du das Gelesene in Handlung umsetzen kannst? 



7. Weiterentwicklung und Weitergabe

Schau dir nach einiger Zeit den Text nochmal an. Du wirst feststellen, dass nun ganz andere Passagen zu dir sprechen, du manche Stellen ganz anders interpretierst. Du hast dich weiterentwickelt und bist nun offen für neue Erkenntnisse. 

Betrachte klassische Texte nie als “gelesen” an, ihr Studium kann eine Leben lang dauern.

Ebenso kann es zu ganz neuen Fragen und/oder Erkenntnissen kommen, wenn du den Text mit jemandem zusammen besprichst. Das kann ein Lehrer oder anderer Schüler sein. Vielleicht nimmst du selbst eher die Position des Lehrers ein, wenn du den Text bereits eingehend studiert hast. Teile deine Erfahrungen und wie du den Text im Alltag umsetzt. Du wirst überrascht sein, wie unterschiedlich ein und derselbe Text wahrgenommen werden kann.



Ich hoffe, ich konnte dir mit diesen Tips Anregungen geben, dich an klassische Texte heranzuwagen, vielleicht den ein oder anderen nochmal in die Hand zu nehmen.

Welche klassischen Yoga Texte hast du bereits gelesen und welcher fiel dir am leichtesten, welcher am schwersten?


Quelle:

Hari-kirtana das: In Search of the Highest Truth: Adventures in Yoga Philosophy. 2017.



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